Aug 30 2018

Antwort auf kleine Anfrage im Landtag NRW zu der Razzia im Langen August

Von um 23:18 in Razzia wg. Bure

Am 28.8.2018 wurde die NRW Landtagsdrucksache 17/3463 veröffentlicht, in welcher der Innenminister (in Abstimmung mit dem Justizminister) auf die Kleine Anfrage 17/3240 (Razzia in Dortmunder Kulturzentrum „Langer August“)  eingeht.

Es folgt ein Zitat der Landtagsdrucksache 17/3463 mit unseren  Anmerkungen, die den Abschnitten des Originals jeweils nachgestellt sind. 

(„F:“ Frage, „A:“ Antwort der Landesregierung, „K:“ unser Kommentar.)

Der Minister des Innern hat die Kleine Anfrage 1313 mit Schreiben vom 23. August 2018 namens der Landesregierung im Einvernehmen mit dem Minister der Justiz beantwortet.

F: 1. Aus welchem Grund wurde die Durchsuchung am 4. Juli 2018 durchgeführt?

A: Die Durchsuchung am 4. Juli 2018 erfolgte wegen des Tatverdachts des Ausspähens von Daten und Datenveränderung gemäß §§ 202a, 303a StGB gegen Unbekannt auf Grundlage zweier Beschlüsse des Amtsgerichts Köln vom selben Tag, gerichtet auf Beschlagnahme (506 Gs 1436/18) und Durchsuchung (506 Gs 1435/18).

K: Die Inhalte dieser Beschlüsse haben wir dokumentiert.

A: Die vorgenannten Beschlüsse wurden durch die Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen (ZAC NRW) aufgrund einer durch das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz übermittelten Europäischen Ermittlungsanordnung der Staatsanwaltschaft Paris erwirkt. Die Europäische Ermittlungsanordnung zielte auf die Sicherstellung von in Frankreich entwendeten und auf einer nach den Ermittlungen der französischen Behörden über einen Server des „Wissenschaftsladens Dortmund e. V.“ gehosteten Internetseite angebotene Daten eines Anbieters spezialisierter Planungsleistungen u. a. für Kernkraftanlagen. Aus Sicht der französischen Behörden war die Offenlegung der Daten geeignet, die nationale Sicherheit Frankreichs zu gefährden.

K: Wir müssen also nochmals wiederholen, dasss es sich nicht um einen Server des WiLaDo gehandelt hat. (Diese Tatsache wird neuerdings vom Amtsgericht Köln gegen unsere Beschwerde verwendet, um zu rechtfertigen, dass uns eine Abwendungsbefugnis nicht zu gewähren gewesen sei. Abwendungsbefugnis heißt hier im Klartext, dass wir die Möglichkeit bekommen, eine Durchsuchung zu vermeiden, indem wir die zu beschlagnahmenden Gegenstände selbst herausgeben. Wir hätten das getan, um die ebenso überflüssige wie kostenträchtige Zerstörung von fünf Türen durch die Polizei zu vermeiden.)

Über die richterlichen Beschlüsse vom 4.7.2018 hinaus werden hier die folgenden Informationen eingeführt:

  • Das Justizministerium des Bundes hat die Europäische Ermittlungsanordnung der Staatsanwaltschaft Paris weitergeleitet. (An das NRW-Justizministerium? Direkt an das ZAC NRW?)
  • Die Publikation der Dokumente war geeignet, die nationale Sicherheit Frankreichs zu gefährden.

Über die Dienstwege und Entscheidungskompetenzen im Zusammenhang mit Europäischen Ermittlungsanordnungen wissen wir nichts. Aber zur „nationalen Sicherheit Frankreichs“ müssen wir feststellen, dass die Dokumente (zumindest größtenteils) am 29.06. unter dem Titel „Quelques documents internes d’INGEROP“ („Einige interne Dokumente von INGEROP“) öffentlich im Web gepostet wurden – und dort bis heute allen zugänglich sind, die sich für die nationale Sicherheit Frankreichs interessieren. Dieses Faktum spricht gegen eine angebliche Dringlichkeit der Polizeimaßnahmen vom 4.7.2018 im Langen August incl. WiLaDo.

Der WiLaDo beschäftigt sich normalerweise nicht mit Politik, aber wir können uns des Eindrucks nicht erwehren, dass von französischen Behörden der Begriff „nationale Sicherheit“ zur Rechtfertigung von Maßnahmen verwendet wird, die im Gegensatz zur Gesundheit und Freiheit der von Atommüll und Ausnahmezustand betroffenen Bevölkerung stehen (siehe dazu den Beschluss des saarländischen Landtags gegen Bure). Und diese ungeheuren Mengen an Atommüll, die bei Bure vergraben werden sollen, stammen nicht von tragischen Meteoriteneinschlägen, sondern sind ausschließlich und zwangsläufig ein Ergebnis der Atompolitik und -wirtschaft. Es ergibt sich der Schluss, dass die Behörden „nationale Sicherheit“ hier synonym für „Atompolitik und -wirtschaft“ verwenden.

Wenn nun der NRW-Innenminister die letztliche Verantwortung für den brachialen Einsatz seiner Polizeien am 4.7. nach Paris oder Berlin verschieben will, so kann er die Verantwortung für den Anlass, nicht aber für das konkrete Vorgehen der NRW-Polizei nach oben verschieben. U.a. wird er die Verantwortung für die von ihm repetierte Lüge übernehmen müssen, dass der WiLaDo nicht habe aufgefunden werden können, weil niemand im L.A. mit der Polizei kooperiert habe und die Polizei nicht wissen konnte, wo der sich der WiLaDo befinde (s.u.). Wenn der NRW-Innenminister seinen Laden im Griff hat, kriegt er raus, wo diese dreiste Behauptung herkommt. Wir gehen dennoch davon aus, dass wir es nicht erfahren werden, außer vielleicht wenn in 120 Jahren (*) das entsprechende Staatsarchiv der Wissenschaft zugänglich werden wird;-(

Egal, welche Geschichten die NRW-Polizei den Gerichten und der Politik noch erzählen mag, ihre Bemühungen am 4.7. haben es immerhin geschafft, uns ein lebhaftes Gefühl für den Begriff „Ausnahmezustand“ zu vermitteln – polizeiliche Willkür und Übergriffe gehören in der Dortmunder Nordstadt schon länger zum Alltag von Menschen, die nicht biodeutsch und angepasst aussehen, und es ist zu erwarten, dass die auch in NRW geplanten Ermächtigungsgesetze für die Polizei dazu führen werden, weiteren Teilen der Bevölkerung die „lebhaften Gefühle“ der Ohnmacht gegen Willkür zugänglich zu machen.

Wenn schon das Konzept „Ausnahmezustand“ aus Sicht der NRW-Politik ein französischer Exportschlager ist, dann lohnt sich auch ein Blick auf den damit zusammenhängenden Atommüll. Dieser ist ja letztlich die Ursache für den an uns erprobten Ausnahmezustand. Wir haben leider nicht die Kapazitäten, dieses strahlende Fass auszulöffeln, würden es aber begrüßen, wenn Kundige oder Interessierte (etwa ausgehend vom „Zufallsfund“ 17/3373: Atomtransporte durch NRW) uns und ggf. der Öffentlichkeit zu einem Überblick über die hiesige Lage verhelfen. Vielleicht können wir dadurch ein besseres Verständnis für die Notlage des Innenministers entwickeln, der gemeinsam mit seinen Amtskollegen in .de und .fr vor der Herausforderung steht, eine Lösung für ein unlösbares Problem (namens Atommüll) gegen die Bevölkerung durchsetzbar zu machen.

F: 2. Wie bewertet die Landesregierung die Durchsuchung von Räumen anderer Vereine bzw. Gruppen in dem Kulturzentrum vor dem Hintergrund, dass sich der zugrundeliegende Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Köln ausschließlich auf die Räumlichkeiten des Wissenschaftsladen e.V. bezogen haben soll?

A: Die Räumlichkeiten des betreffenden Gebäudes waren einzelnen Nutzern nicht zuzuordnen, vor Ort anwesende Personen kooperierten nicht. […]

K: Diese Formulierung lässt geschickterweise offen, ob einige oder alle während der abendlichen Besetzung des zu dieser Zeit gut besuchten Langen August (L.A.) angetroffenen und festgesetzten Personen nach dem Eindruck der Polizei nicht kooperierten. Wir wissen jedenfalls, dass einige Personen sehr wohl kooperierten. Der Vorwurf gegen die Betroffenen („… kooperierten nicht …“) – Opfer zu Tätern zu deklarieren hat hierzulande Tradition – lenkt vom Unsinn im ersten Teil des Satzes ab, denn es war nicht die richterlich beschlossene Aufgabe der Polizei, Räumlichkeiten im L.A. einzelnen Nutzer*innen zuzuordnen, sondern einen genau bezeichneten Server im WiLaDo zu beschlagnahmen.

Egal, was man von solcher Politikrhetorik hält – was wir im Folgenden benennen, reicht aus, um den ministeriellen Satz zu falsifizieren:

a) Zu Beginn der (u.E. unrechtmäßigen) Durchsuchung des L.A. wurde im KCR ein Vorstand des Langen August angetroffen, der sich auch als solcher zu erkennen gab. Statt diesen zu fragen wo sich die Räume im Langen August befinden, welche zum Wissenschaftsladen gehören, und ihn zum Einsatzleiter zu bringen, wurde er im KCR festgehalten um der (u.E. unrechtmäßigen) Durchsuchung des KCR beizuwohnen. Der besagte Vorstand des L.A. hat auch ansonsten mit der Polizei kooperiert, z.B. Räume des Langen August aufgeschlossen, obwohl dies laut Gerichtsbeschluss nicht nötig gewesen wäre.

b) Die Räume des Chaostreffs Dortmund (CTDO) im 2. OG sind eindeutig gekennzeichnet. Dort haben die Beamten auch die Information erhalten, dass der Wissenschaftsladen eine Etage höher ist, also im 3. OG. Um diese Frage zu stellen hätten die Beamten nicht die gesamten Räumlichkeiten des CTDO ausführlichst „betreten“ müssen, während die Anwesenden im Chaostreff über 2 Stunden in einem Raum sitzen bleiben mussten ohne Laptop oder Handy benutzen zu dürfen.

c) Das Feld „[x] Der Durchsuchung wurde zugestimmt“ ist im Durchsuchungs-/Sicherstellungsprotokoll des LKA (Dezernat 42) angekreuzt. Wäre eine solche Zustimmung etwa keine Kooperation gewesen? (Es geht dabei nur um den Widerspruch zwischen Akte und Aussage des Ministers, nicht darum, dass das Häkchen dort fälschlicherweise von der Polizei gesetzt wurde. Falsch ist es, weil niemand, der zu einer Zustimmung zur Durchsuchung des WiLaDo befugt gewesen wäre, von dieser informiert oder – trotz expliziter Anwesenheit an der Polizeisperre – vor 22:30 Uhr überhaupt angehört worden wäre, geschweige denn jemals seine Zustimmung gegeben hätte.)

A: Da auch sonst keine Hinweise auf den gesuchten Raum erlangt werden konnten, […]

K: Der Weg zu den Räumen des Wissenschaftsladens war und ist auf unserer Website detailliert beschrieben:
<https://www.wissenschaftsladen-dortmund.de/wegbeschreibung/>.

A: wurden alle in Frage kommenden Räume betreten, aber nicht durchsucht. Eine Durchsuchung eines anderen Raumes als des durch die Beschlüsse abgedeckten Geschäftsraums des Wissenschaftsladens erfolgte nicht.

K: Abgesehen davon, dass laut richterlichem Beschluss nur Räume des WiLaDo „in Frage kommen“ konnten, sprechen bereits Menge und Fundorte der unter 3. aufgeführten, außerhalb des WiLaDo sichergestellten Gegenstände gegen eine „Betretungstheorie“, und statt dessen für Durchsuchungen, wie sie ja außer im 1. OG auch im KCR (Hinterhof), im L.A.-Büro (Hinterhaus), in Briefkästen (EG), im Café (EG), und auf dem Dachboden (nach dem Aufbrechen zweier Türen im 3. OG, die nicht zum WiLaDo gehören) stattgefunden haben. Genauer:

  • Für das „Smartphone, Samsung, weiß“ in der Antwort (17/3463, S. 3) wird als Auffindeörtlichkeit „EG, Treppenhaus“ angegeben. Im Beschlagnahmeprotokoll des LKA ist der „Auffindeort“ genauer bezeichnet: Das Smartphone befand sich in einem der Briefkästen im Erdgeschoss. Und zwar definitiv nicht im Briefkasten des Wissenschaftsladens. Jeder der Briefkästen ist eindeutig beschriftet, d.h. auf genau einem davon steht „Wissenschaftsladen Dortmund“. Also wurde der Briefkasten mindestens eines anderen Vereins durchsucht, mit nachfolgender „Eigentumssicherung“ des dortigen Smartphones.
  • Im 1. OG rechts kann der 2. Raum nur durch den 1. Raum erreicht werden. Im 1. Raum waren Personen. Es hätte vollkommen ausgereicht, diese nach dem Weg zu fragen. Der Durchsuchungsbeschluss gab keinerlei Anlass Raum 2 zu betreten und die Inhalte von Kartons zu überprüfen – geschweige denn, ein Laptop mitzunehmen.
  • Im Seminarraum auf dem Dachboden wurden die Schränke mit den Yogamatten durchwühlt.
  • In der Küche im Erdgeschoss wurden die Filter der Dunstabzugshaube beiseite geschoben.
  • Im Büro des Langen August e.V. im Erdgeschoss des Hinterhauses wurden die Ordner mit den Mietverträgen durchgesehen.

F: 3. Welche Gegenstände wurden bei der Durchsuchung aus welchen Räumen des Kulturzentrums beschlagnahmt? (Bitte Gegenstände getrennt nach Räumen auflisten.)

A: Im Rahmen der Durchsuchung wurden folgende Gegenstände sichergestellt:

Gegenstände Auffindeörtlichkeit Betreten/Durchsuchen Rechtsgrundlage Sicherstellung/Beschlagnahme Rechtsrundlage
Smartphone, Samsung, weiß EG, Treppenhaus Betreten § 103 StPO § 43 S.1 Nr. 2 PolG NRW (Eigentumssicherung)
Server (ECO Server), S/N 1009769 mit der Aufschrift „Gehäuse 1“ 3. OG, Serverraum Durchsuchung § 103 StPO §§ 94/98 StPO
Aktenordner „Konto 2018“ 3. OG, Servervorraum Durchsuchung § 103 StPO §§ 94/98 StPO
Aktenordner „Konto 2017“ 3. OG, Servervorraum Durchsuchung § 103 StPO §§ 94/98 StPO
Aktenordner „Verträge“ 3. OG, Servervorraum Durchsuchung § 103 StPO §§ 94/98 StPO
Aktenordner „Verein“ 3. OG, Servervorraum Durchsuchung § 103 StPO §§ 94/98 StPO
USB-Stick, 4GB, Transcend „10.2“ 3. OG, Serverraum Durchsuchung § 103 StPO §§ 94/98 StPO
Notebook, Medion Akoya, P6638, MSN 30015147, mit Netzteil, schwarz 1. OG rechts, 1. Raum Betreten § 103 StPO § 43 S.1 Nr. 2 PolG NRW (Eigentumssicherung)
externe USB-Festplatte, WD, S/N WX51EC40R85Z 1. OG rechts, 1. Raum Betreten § 103 StPO § 43 S.1 Nr. 2 PolG NRW (Eigentumssicherung)
Karton mit Plakaten der Kampagne „DO1404 – keine homezone für Nazis“ 1. OG rechts, 2. Raum Betreten § 103 StPO § 108 StPO (Zufallsfund)
zwei Kartons der Kampagne „Nazi-watch“ 1. OG rechts, 2. Raum Betreten § 103 StPO § 108 StPO (Zufallsfund)
Notebook der Marke Acer 1. OG rechts, 2. Raum Betreten § 103 StPO § 108 StPO (Zufallsfund)

Die zur Eigentumssicherung gem. § 43 PolG NRW sichergestellten Gegenstände wurden zwischenzeitlich wieder an den Eigentümer ausgehändigt.
Die gem. § 108 StPO als Zufallsfunde sichergestellten Gegenstände standen nach Bewertung der eingesetzten Polizeibeamten erkennbar in Zusammenhang mit einem beim Polizeipräsidium Dortmund geführten Strafverfahren.

K: Zu einigen Gegenständen, die von außerhalb des WiLaDo mitgenommen wurden, ist oben schon etwas geschrieben worden. Zu den aus dem WiLaDo siehe unsere Beschwerden an das AG Köln (s. Dokumentenliste).

F: 4. Sind die Räume des durchsuchten Kulturzentrums Gegenstand von Überwachungsmaßnahmen?

A: Zu etwaigen verdeckten Maßnahmen von Polizei und Verfassungsschutz nimmt die Landesregierung öffentlich keine Stellung.

K: Kein Kommentar.

F: 5. Wie war die Polizei NRW an der Durchsuchung beteiligt? (Ich bitte u.a. um Darstellung des Auftrags der Polizei und der eingesetzten Personalstärke der betreffenden Behörden.)

Im Hinblick auf den Auftrag verweise ich auf die Antwort zu Frage 1.

Durch die Polizei Nordrhein-Westfalen wurden insgesamt 47 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen, des Polizeipräsidiums Dortmund sowie des Polizeipräsidiums Bochum eingesetzt.

K: Was war die Aufgabe der Dortmunder Polizei, wenn sie (angeblich) nicht mal in der Lage ist, den WiLaDo im L.A. zu lokalisieren? Zu evtl. anwesendem „verdecktem“ Personal, etwa des VS, wird man gemäß 4. wohl nichts erfahren.

(*) Siehe Sperrfrist der NSU-Akten des VS zur Anwesenheit eines Beamten beim Mord an Halit Yozgat.

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