Jul 17 2018
Rechtsfreie Räume – für die Polizei:-(
Eskalation an vielen Orten
Durchsuchung und Beschlagnahme im WiLaDo am 04.07.18 hängen nach unserem aktuellen Kenntnisstand mit dem geplanten Atommüll“end“lager Bure in Lothringen zusammen – bzw. mit dem Protest dagegen.
Bure
Protest gegen das Atommüllager gibt es schon lange. In den letzen Jahren hat sich die Situation jedoch verschärft. 2016 begann die Andra (die Bauherrin des Atommüllagers) überraschend die Bauarbeiten im Bois (Wald) Lejuc, obwohl sie dafür weder eine Rodungs- noch eine Baugenehmigung besaß. Die Andra wollte eine vier Kilometer lange und drei Meter hohe Mauer rund um die 221 Hektar Wald errichten, um Bohrungen für die künftigen Luftschächte des Endlagers durchzuführen – abgeschirmt vom Protest der Projektgegner*innen.
Die Bauarbeiten ruhten seit dem 1. August 2016 in Folge eines gerichtlich verhängten Baustopps, der Zerstörung des begonnenen Mauerwerks durch Projektgegner*innen und der Besetzung des Waldes. Es gab Protesthöhepunkte wie Demos und Festivals am 15.08.17 und die Demo in Bar-le-Duc mit über 2.000 Leuten am 16.06.18. Aber es gab auch Repressionshöhepunkte wie Razzien am 20.09.17 an sechs Orten.
Die Waldbesetzung wurde im Laufe der Zeit größer. Es wurden zahlreiche Hütten und Baumhäuser gebaut, ähnlich wie im Hambacher Forst [1]. Diese Waldbesetzung wurde – ohne Vorwarnung und Rechtsgrundlage – am 22. Februar 2018 durch 500 Militärpolizisten geräumt. Die Arbeiten im Wald wurden anschließend wieder aufgenommen. Ab September wird mit weiteren Bauarbeiten gerechnet. Die Gegner*innen planen Aktionstage vom 3.-11. September. [2]
Der Widerstand „droht“ sich zu verfestigen. Der Atomstaat [3,4] versucht jeglichen Widerstand durch eine Militarisierung der gesamten Region zu verhindern: Besatzung, Überwachung, Kontrollen, Hausdurchsuchungen und abstruse Verurteilungen gehören mindestens seit der Räumung des besetzten Waldes im Februar zum Alltag.
Am 20.06.18 gab es Razzien an 14 Orten. Vorwürfe im Zusammenhang mit den G20-Protesten in Hamburg 2017 dienten als Begründung für die Polizeimaßnahmen. Beamte der Hamburger Sonderkommission „Black Block“ waren vor Ort. Seitdem wird außerdem wegen Bildung einer „kriminellen Vereinigung gegen Cigéo“ ermittelt. Zahlreiche Personen haben Kontaktsperren, teilweise Ausreiseverbote und dürfen vor allem auch nicht nach Bure. Ein Anwalt war vorübergehend in Haft und sein Büro wurde durchsucht. Es gab zahllose Beschlagnahmen und umfangreiche Überwachungsmassnahmen [5,6].
Als Antwort auf die Razzien wurden am 21.06. auf dem bei uns beschlagnahmten Server Dokumente des Unternehmens Ingérop veröffentlicht [7]. Das französische Computer Emergency Response Team (CERT) hatte daraufhin die Cybercrime-Einheit des LKA Köln zu dem Einsatz gegen „Unbekannt“ veranlasst, der sich faktisch gegen den WiLaDo und den Langen August richtete.
Hamburg
In Sachen Repression gegen Protestaktionen scheinen deutsche und französische Behörden zumindest seit den G20-Protesten 2017 in Hamburg intensiv zusammen zu arbeiten. Wir kennen die Situation in Frankreich nicht näher, aber die Hamburger Polizei hat während des G20 gezeigt, dass sie sich nicht an geltendes Recht hält. Dazu nur ein Beispiel: Das Protestcamp in Entenwerder wurde trotz ausdrücklicher Genehmigung durch das Hamburger Verwaltungsgericht geräumt. [8]
Dortmund
Auch bei der uns betreffenden Durchsuchung am 04.07.18 hat die Polizei ihre Befugnisse massiv überschritten. Der Durchsuchungsbeschluss war für die Räume des Wissenschaftsladen Dortmund e.V. ausgestellt. Durchsucht wurden jedoch etliche weitere Räume im Langen August. Dabei wurden insgesamt 5 Türen zerstört. Die im Haus Anwesenden wurden teilweise über 2 Stunden im Langen August fest gehalten. Sie durften keinerlei Kontakt nach außen aufnehmen, weder Handy noch Laptop benutzen. Und das nur, weil in den Räumen eines anderen Vereins im Haus ein Server beschlagnahmt werden sollte.
So fragwürdig wie die Beschlagnahme überhaupt ist (*), der Verlauf von Durchsuchung und Beschlagnahme zeigt eindrücklich, dass sich weder das LKA Köln noch die Dortmunder Polizei an rechtsstaatliche Grundsätze gebunden fühlen. So durchsuchten sie auch die Räume des Chaostreff Dortmund, dem lokalen Ableger des CCC. Eine Straftat wurde den in den CTDO-Räumen Anwesenden zwar nicht vorgeworfen, der Einsatzleiter sprach jedoch Drohungen aus. „Wir wurden behandelt wie Straftäter, obwohl uns rein gar nichts vorgeworfen wird. Die Polizei marschierte in unsere Räume mit dem Wissen, dass der Durchsuchungsbeschluss sie gar nicht umfasste“, sagte ein Mitglied des CTDO, der bei der Durchsuchung anwesend war. [9]
Augsburg, Jena, Berlin und Dresden
Der ungebetene „Besuch“ der Polizei im Langen August kam wenige Tage nach den Durchsuchungen bei den Zwiebelfreunden in Augsburg, Jena, Berlin und Dresden. Der Zwiebelfreunde e.V. ist ein gemeinnütziger Verein, der Technologie und Wissen im Bereich Anonymität, Privatsphäre und Sicherheit im Internet fördert, zur Nutzung bereit stellt und deren Verbreitung unterstützt. Der Zwiebelfreunde e.V. betreibt unter anderem das erfolgreiche Torservers.net Projekt. [10]
Die Begründung der Durchsuchungen bei den Vorständen des Zwiebelfreunde e.V. ist abenteuerlich und lässt keinerlei Realitätsbezug erkennen. Auch dort wurden polizeiliche Befugnisse in unverhältnismäßiger Weise auf Zeugen und völlig Unbeteiligte ausgeweitet. So musste auch der Augsburger Ableger des CCC im dortigen OpenLab eine Durchsuchung über sich ergehen lassen. Dort entdeckten die Beamten einen Gegenstand den sie für das Modell einer Atombombe hielten. Dieser Gegenstand wurde natürlich beschlagnahmt. Das Delikt: Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion [11]. Details zu diesen Durchsuchungen auf der Seite des CCC [12].
Und viele andere mehr
Das waren nur einige Beispiele für überzogene Maßnahmen und Überschreitungen des Erlaubten durch die Polizei. Es stellt sich darüber hinaus aber auch die Frage, wie es überhaupt zu richterlichen Beschlüssen mit derart absurden Begründungen kommen kann. Die Beschlagnahme unserer Vereinsunterlagen soll zB Erkenntnisse über die hinter Systemausfall stehenden Personen bringen. Um das heraus zu finden hätte ein Blick auf das Impressum von www.systemausfall.org ausgereicht. Das Rostocker Amtsgericht hätte den Kollegen sicher einen Vereinsregisterauszug zukommen lassen.
Sicherlich kann man nicht von jedem Richter erwarten, dass er sich mit den technischen Grundlagen des Internet auskennt. Wenn aber das sog. „Cybercrime-Kompetenzzentrum“ mit solch einer Begründung eine Beschlagnahme beantragt, wird das wohl nicht an fehlendem Wissen über das Internet liegen. Es drängt sich daher der Schluss auf, dass Richter gezielt belogen werden, damit Polizei und Staatsanwaltschaft die gewünschten Beschlüsse erhalten.
Dies gilt auch für die Beschlagnahmung des gesamten Gehäuses mit vier Servern, statt nur des einen, vom richterlichen Beschluss bezeichneten Servers. Im jüngsten Schriftsatz des Kölner Amtsgerichts wird unsere Beschwerde auf Herausgabe der anderen Server mit der Begründung abgelehnt, dass ein Ausbauen des systemausfall-Servers nicht zerstörungsfrei möglich sei. Hierzu gibt es zwei Möglichkeiten:
- a) Die Polizei belügt den Richter.
- b) Die Polizei schreibt die Wahrheit, woraus folgt, dass selbst ihre Cybercrime-Spezialeinheit nicht in der Lage ist, mit Hilfe eines Kreuzschlitzschraubendrehers die vier Schrauben des Gehäuses zu lösen, den Deckel abzuheben, und schließlich eine beschriftete Festplatte zu erkennen und abzuziehen. (Warum sich die Spezialisten ca. drei Stunden im Serverraum herumgetrieben haben statt zB die gesuchte Festplatte sofort zu kopieren, wird wohl auch ihr Geheimnis bleiben.)
In beiden Fällen wäre es mehr als fahrlässig, diesen Leuten noch mehr Befugnisse einzuräumen. Doch durch die geplante Verschärfung der Polizeigesetze in Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern könnte willkürliches Vorgehen der Polizei bald zum legalisierten Alltag werden. Wir brauchen keine verschärften Polizeigesetze, sondern Nachschulungen bei den Verantwortlichen, wenn nicht einmal mehr Gebote wie Wahrheit, Unschuldsvermutung und Verhältnismäßigkeit zu gelten scheinen.
(*) Die Ermittlungen folgen offenbar der Logik eines Betrunkenen, der seinen verlorenen Schlüssel wegen der Beleuchtung unter der nächsten Laterne sucht, statt auf dem Weg, auf dem er ihn verloren hat. Der Diebstahl der Dokumente von Ingérop entspricht in diesem Gleichnis dem Verlust des Schlüssels, die Beschlagnahme eines Servers, der laut Beschlagnahmebeschluss aber nichts mit dem Angriff zu tun hatte sondern andernorts öffentlich verfügbare Inhalte gespiegelt hatte, entspricht der Suche unter einer Laterne, die mit dem Problem nur am Wegesrande, aber nicht kausal zu tun hatte.
[1] <https://hambacherforst.org/>
[2] <http://de.vmc.camp/>
[3] Spiegel vom 26.12.1977: <http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-40680215.html>
[4] Auch wenn dem Fazit des Autors nicht zuzustimmen ist: Deutschlandfunk vom 20.09.10 <https://www.deutschlandfunk.de/kursiv-ueberraschend-aktuell.1310.de.html?dram:article_id=194185>
[5] <http://de.vmc.camp/2018/06/24/bure-ist-ueberall-solidaritaet-kennt-keine-grenzen>
[6] <http://de.vmc.camp/2018/06/24/update-23-06-2018/>
[7] <https://lesmonstresdecigeo.noblogs.org/en/post/2018/06/21/ingerop-leaks-solidarite-avec-les-inculpees-de-bure>
[8] <http://www.spiegel.de/politik/deutschland/g20-gipfel-polizei-verhindert-genehmigtes-protestcamp-a-1155530.html>
[9] <https://www.chaostreff-dortmund.de/2018/07/07/unrechtmaessige-hausdurchsuchung-polizei-reitet-erneut-beim-chaos-computer-club-ein>
[10] <https://www.zwiebelfreunde.de/>
[11] <https://openlab-augsburg.de/2018/07/aufgrund-populaerer-nachfrage-die-f-bomb>
[12] <https://www.ccc.de/de/updates/2018/hausdurchsuchungen-bei-vereinsvorstanden-der-zwiebelfreunde-und-im-openlab-augsburg>
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