Dez 04 2019

Nichts Neues aus der Parallelwelt

Von um 14:41 in Razzia wg. Bure

Zum Beschluss des LG Köln 28.10.2019

Auch das Landgericht Köln ist der Ansicht die Razzia vom 04.07.18 im Langen August (L.A.) sei „erforderlich und angemessen“ gewesen. Die Beschwerde des L.A. wurde deshalb als unbegründet zurückgewiesen [1].

Diese Entscheidung samt Begründung gab es bisher so oder so ähnlich von beiden beteiligten Gerichten (AG und LG Köln). Eigentlich müssten für diese abgelehnte Beschwerde die Gerichtskosten reduziert werden. Die Richter haben letztendlich nur aus den bisherigen Entscheidungen abgeschrieben.

Und entschieden wird schließlich „nach Aktenlage“ – gemeint sind damit die Behauptungen der Polizei. Beispiel: „Vor diesem Hintergrund mussten zur Identifizierung der Räumlichkeiten des Wissenschaftsladen Dortmund e.V. auch andere in dem Objekt [L.A.] vorhandene Räume betreten werden. Auch dies ergibt sich aus dem Durchsuchungsbericht des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen vom 05.07.2018, in dem es unter Ziffer 3. heißt: ‚Die Geschosse [des L.A.] konnten *nachträglich* wie folgt zugeordnet werden: …‘ (Hervorhebung durch die Kammer).“ Man bemüht sich, die Behauptungen der Polizei zielführend zu interpretieren.

Doch den Gegensatz zur Aktenlage bildet hier die Faktenlage, schon lange nachzulesen unter [2,3]. Wir wiederholen das hier nicht, sondern versuchen ein Fazit:

a) Die Geschichte der Polizei passt nicht zu den Fakten.

ba) Wäre (wie die Gerichte voraussetzen) die Geschichte der Polizei wahr, so folgte daraus die Unfähigkeit der Polizei, öffentlich (Internet) und im L.A. bekannte Räumlichkeiten (des WiLaDo) zu lokalisieren. (Darf man solche Leute mit Maschinenpistolen bewaffnet auf die Bevölkerung loslassen?)

bb) Plausibler als ba) erscheint es, dass die Ahnungslosigkeit inszeniert wurde, um sich mal im L.A. umzusehen … solch eine Chance wollte sich die an der Durchsuchung beteiligte politische Dorfpolizei aus Dortmund sicher nicht entgehen lassen – aber (und das spricht gegen ba) die kennen den L.A. (weil der Name des selbstorganisierten = unkontrollierbaren Hauses ist ja schon explizit antifaschistisch d.h. linksterroristisch … also gehen wir [Polizei] da mal mit Maschinenpistolen rein … aber trauen uns nicht, nach dem Weg zum WiLaDo zu fragen … ;(

c) Die Geschichte der Polizei bzgl. der Durchsuchung des L.A. ähnelt der Geschichte zur Durchsuchung des WiLaDo. Auch dort wurde ein Szenario aufgebaut („Gefährdung der nationalen Sicherheit Frankreichs“ [4], „Gefährdungspotenzial für die Allgemeinheit“ [5,6], „Tatbeteiligte oder diesen nahe stehende Personen“ [7,3]), mit dem dann übergriffige und unverhältnismäßige Polizeimaßnahmen gerechtfertigt werden, auch wenn sie in Bezug auf den behaupteten Zweck erkennbar sinnfrei sind (s. zB [6,8]). Das (leider) eindrücklichste Sinnbild solcher Sinnfreiheit sind wohl die die bei der Besetzung des L.A. eingesetzten Maschinenpistolen [9].

Das LG Köln stellt einfach fest: „Weiterhin ist nicht ersichtlich, ob und inwieweit die im Zeitpunkt des Beginns der Maßnahme in dem Gebäude anwesenden Personen zu einer Auskunft in der Lage und hierzu auch bereit gewesen wären.“! Die Polizei definiert die Fakten über den L.A. – warum sich noch mit der Realität beschäftigen? Evtl. anderslautende Aussagen kämen ja mutmaßlich sicher von „Tatbeteiligten oder diesen nahe stehenden Personen“ oder deren Umfeld, brauchen also gar nicht erst in Betracht gezogen zu werden.

Das Gericht scheint es auch nicht seltsam zu finden, dass Polizei und Staatsanwaltschaft sich nicht vorab über ein zu durchsuchendes Objekt informieren. Denn das wäre im Fall des L.A. ein Kinderspiel gewesen, einfach durch einen Blick auf die Webseite des betroffenen Vereins. Der WiLa hat dort eine genaue Wegbeschreibung bis zur Eingangstür des WiLa „3.OG, links“ usw. s. [3], s.o. bb).

Mit der Argumentation aus diesem Gerichtsbeschluss könnten auch ganze Wohnhäuser durchsucht (in Juristenneudeutsch: betreten) werden, sobald gegen einen der Mieter ein Durchsuchungsbeschluss vorliegt. Wenn nämlich nicht jede Wohnungstür mit Namen versehen ist, wäre es nach der beharrlichen Beschlusslogik der Kölner Gerichte vollkommen angemessen in jeder Wohnung Schränke zu öffnen, Dinge in die Hand zu nehmen und Ordner mit Verträgen durchzusehen. Also schau besser mal nach ob alle deine Nachbarn ein gut sicht- und lesbares Namensschild an ihrer Wohnungstür haben … und/oder einen unkontrollierbaren Eindruck machen …

Wäre es wirklich (nur) darum gegangen die angeblich so sicherheitsrelevanten Inhalte möglichst schnell aus dem Netz zu bekommen, hätte es deutlich schnellere Wege gegeben (s. zB [6]). Dies zu wissen kann man von Richtern vielleicht nicht verlangen. Aber nur die Aussagen von Polizei und Staatsanwaltschaft zur Kenntnis zu nehmen und alles andere zu ignorieren (*) sollte eines unabhängigen Richters unwürdig sein. Man fragt sich, was wohl die Gründe für die aktuelle Imagekampagne „Wir sind Rechtsstaat“ sind … wir wüssten jedenfalls welche für die Nachfolgekampagne „Wir sind Atomstaat“ [10].

Also: Seid dem L.A., d.h. der unkontrollierbaren Selbstorganisation, treu! Stärkt den rationalen Widerstand gegen die Zumutungen des behördlichen Absurdistans! Ladet euch die nächsten Folgen von [11] ‚runter – bisher schon 35 Episoden!-(

 

(*) [12,13] erwecken den Eindruck, die Einlassungen der Betroffenen hätten ja doch eine Wirkung. Diesem (durchaus erfreulichen, aber sonst folgenlosen) Vorgang liegt aber unsere (offenbar vom Staatsanwalt ungewollte) Kenntnis [14] des „polizeilichen Zwischenberichts“ des LKA zugrunde. Darin wurde nämlich (bereits am 1.10.2018) festgestellt, „dass die Datenträger verschlüsselt seien und die Verschlüsselung mit den durch das LKA NRW zur Verfügung stehenden Mitteln nicht gebrochen werden können. Der Sachverhalt sei sodann mit dem BKA erörtert worden. Auch dort sei man nicht in der Lage gewesen, die Verschlüsselung zu brechen.“ Wenn die Betroffenen mal das Selbe sagen wie die Polizei, dann darf es gelten. Frohlocket!

 

[1] <https://www.wissenschaftsladen-dortmund.de/2019/11/20/28-10-2019-beschluss-des-lg-koeln-beschwerde-des-la-ist-unbegruendet/>
[2] <https://www.wissenschaftsladen-dortmund.de/2018/08/20/klage-des-langen-august-e-v-gegen-die-durchsuchung/>
[3] <https://www.wissenschaftsladen-dortmund.de/2018/10/13/kommentar-zur-ablehnung-der-klage-des-langen-august/>
[4] <https://www.wissenschaftsladen-dortmund.de/2018/08/30/antwort-auf-kleine-anfrage-im-landtag-nrw-zu-der-razzia-im-langen-august/>
[5] <https://www.wissenschaftsladen-dortmund.de/2018/09/17/10-09-2018-beschluss-des-landgerichts-koeln/>
[6] <https://www.wissenschaftsladen-dortmund.de/2018/09/18/kommentar-zum-beschluss-des-landgerichts-koeln/>
[7] <https://www.wissenschaftsladen-dortmund.de/2018/10/01/klage-des-langen-august-als-unbegruendet-abgelehnt/>
[8] <https://www.wissenschaftsladen-dortmund.de/2019/01/31/eine-spur-fuehrt-in-das-ruhrgebiet-in-eine-sackgasse/>
[9] <https://www.wissenschaftsladen-dortmund.de/2018/07/05/tag-der-offenen-tueren-schwer-bewaffnete-einbrecher-besetzen-den-langen-august-und-entwenden-server-aus-dem-wila-sic/>
[10] <https://www.wissenschaftsladen-dortmund.de/2018/07/11/bure-ist-ueberall-jetzt-auch-in-dortmund/>
[11] <https://www.wissenschaftsladen-dortmund.de/category/wila/razzia-wg-bure/>
[12] <https://www.wissenschaftsladen-dortmund.de/2019/02/14/wir-bekommen-unsere-server-zurueck/>
[13] <https://www.wissenschaftsladen-dortmund.de/2019/04/19/der-groschen-faellt-langsam-aber-er-faellt-auch-in-koeln/>
[14] <https://www.wissenschaftsladen-dortmund.de/2019/01/30/denkfreie-raeume/#verfügung-staatsanwalt>

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