Jul 11 2018

Bure ist überall – jetzt auch in Dortmund

Von um 13:38 in Razzia wg. Bure

Zum Hintergrund der Razzia, eine Internetrecherche

Am 04.07.2018 drangen schwer bewaffnete Uniformierte gewaltsam in die Räume des Wissenschaftsladen Dortmund e.V. ein, durchsuchten die Räume und beschlagnahmten mehrere Server sowie Vereinsunterlagen. Laut Durchsuchungsbeschluss vom Amtsgericht Köln sind über eine Website auf dem zu beschlagnahmenden Server Dokumente verbreitet worden, die von IT-Systemen der französischen Firma Ingérop durch Unbekannte entwendet wurden.

Wie dem Durchsuchungsbeschluss zu entnehmen ist, sollten durch die Beschlagnahme des Servers Hinweise auf die Entwender der Dokumente gefunden werden. Aufgrund des Gerichtsbeschlusses hätten wir den Server (der nicht von uns betrieben wurde) selbstverständlich herausgegeben. Es stellt sich die Frage, weshalb die Staatsorgane statt dessen mit dieser massiven Gewalt in unsere Räume eingedrungen sind. Wir kennen die gesuchten Dokumente nicht und wussten auch nichts von der Website <https://bure.systemausfall.org>.

Anhand der Webadresse bzw. des Adressteils ‚bure‘ lässt sich jedoch leicht der Zusammenhang herausfinden, weshalb diese Dokumente veröffentlicht wurden. Sehr erhellend war die Website des Antiatomnetz Trier [1] sowie mehrere ausführliche Artikel in der Graswurzelrevolution u.a. [2].

Das geplante Atommüll-Lager Bure

Bure ist ein kleines Dorf in Frankreich, mit knapp 70 Einwohnern. Es liegt 150 km von der saarländischen Grenze entfernt. In dieser dünn besiedelten Gegend (7 Einwohner / km²) will die französische Regierung ein Endlager für Atommüll errichten.

Ein ein Lager für schwach radioaktiven Müll gibt es in der Region bereits (in Soulaines). Neben einer Vielzahl an oberirdischen Gebäuden sollen in den nächsten Jahren 280 Kilometer unterirdische Stollen entstehen. Das Lager ist für 80.000 m³ Mittel- und Hochradioaktiven Müll geplant.

Dies ist die Menge, die seit Inbetriebnahme der französischen Atomkraftwerke bereits entstanden ist und bis 2030 noch anfallen wird. Bei dem Müll, der eingelagert werden soll, handelt es sich um mittel- und hochradioaktiven Abfall. Besonders problematisch sind die 74.370 bitumierten Atommüll-Fässer (18% des Volumens), die das Brandrisiko erheblich beeinflussen. Das Lager soll 100 bis 120 Jahre lang betrieben und danach für immer verschlossen werden. Die Nicht Rückholbarkeit des Mülls ist sehr problematisch. Bisher gab es bei Bauarbeiten einen Toten bei Einsturz eines Tunnels im Januar 2016 (nach 1,6 von geplanten 280 km Tunnel).

Das Bauvorhaben heißt Cigéo (Centre industriel de stockage géologique – Industrielles Zentrum für geologische Lagerung). Bauherrin ist die staatliche Agentur zur Entsorgung von radioaktivem Müll, Andra (Agence Nationale pour la Gestion des Déchets Radioactifs – Nationale Agentur für die Verwaltung radioaktiver Abfälle). Der Bauantrag soll 2019 gestellt werden. Aber die Vorarbeiten haben bereits begonnen.

Widerstand gegen das geplante Atommüllager

Wie sicher und nachhaltig so ein Endlager ist, hat sich hierzulande schon gezeigt: Morsleben stürzt ein und die Asse säuft ab [3]. Gegen das Projekt Cigéo gibt es schon seit Jahren vielfältigen Protest und Widerstand. Auch der Landtag des Saarlandes sprach sich 2015 einstimmig gegen das Projekt aus [4].

Im Bois Lejuc gab es bis Februar 2018 eine Waldbesetzung. Der Wald war seit 2016 besetzt. Die Andra startete 2016 überraschend die Bauarbeiten im Wald, obwohl sie dafür weder eine Rodungs- noch eine Baugenehmigung besaß. Die Andra wollte eine vier Kilometer lange und drei Meter hohe Mauer rund um die 221 Hektar Wald errichten, um Bohrungen für die künftigen Luftschächte des Endlagers durchzuführen – abgeschirmt vom Protest der Projektgegner*innen.

Die Bauarbeiten ruhen seit dem 1. August 2016 in Folge eines gerichtlich verhängten Baustopps, der Zerstörung des begonnenen Mauerwerks durch Projektgegner*innen und der Besetzung des Waldes [5]. Die Besetzung wurde im Laufe der Zeit größer, es wurden zahlreiche Hütten und Baumhäuser gebaut, die „kauzigen Eulen“ von Bure, wie die Aktivist*innen genannt werden, sind zum Symbol des Widerstandes gegen das atomare Endlager geworden. Die Regierung fürchtete eine dauerhafte Verankerung des direkten Widerstandes. Deshalb wurde die Waldbesetzung – ohne Vorwarnung und Rechtsgrundlage – am 22. Februar 2018 durch 500 Militärpolizisten geräumt.

Die zunehmende Repression gegen den Protest hat im Laufe der Zeit zu einem Anwachsen des Widerstands geführt. In ganz Frankreich haben sich Unterstützergruppen gebildet. Auch hierzulande haben sich zwei Unterstützungskomitees gegründet (im Wendland und im Dreyeckland (Freiburg und Region)). Es gibt eine bundesweite Mailingliste zum Austausch von Informationen über Bure auf Deutsch, die jede-r abonnieren darf. [6]

Der Repression hat das Thema Atommüll in die Schlagzeilen gebracht. Mit dem positiven Effekt, dass auch über die Hintergründe und die Kritik am Vorhaben der Regierung berichtet wurde. Dies kommt im Atomland Frankreich selten vor und ist der langjährigen Arbeit von Bürgerinitiativen zu verdanken. Sie leisten nicht nur Widerstand auf der Straße, sondern setzen sich auch mit dem Projekt Cigéo und seinen Gefahren auseinander. Seit über 20 Jahren geben sie Studien in Auftrag, veröffentlichen Analysen und Berichte, organisieren Konferenzen mit kritischen Wissenschaftler*innen.

Der Gedanke, dass in Bure auch Atommüll aus dem Ausland eingelagert werden könnte, liegt nicht fern. Bure liegt auf der Route von der Wiederaufbereitungsanlage La Hague in Richtung deutsche Grenze.

„Die europäische Dimension und die deutsche Verquickung zeigen Meldungen deutscher Medien: […] „Deutsche Forscher von der Bundesanstalt für Geowissenschaften in Hannover halten das im Bau befindliche Atommüllendlager im lothringischen Bure für ausreichend sicher. Das Tongestein in rund 500 Metern Tiefe sei sehr dicht.“ (SR 7.10.2011) oder: „Ab dem Jahr 2025 soll im französischen Dorf Bure mit der Lagerung hochradioaktiver Abfälle begonnen werden. Die Forschungsarbeiten dazu werden von Deutschland finanziell mitunterstützt.“ (Deutschlandfunk: 18.10.2011) Dabei geht es nicht nur um deutsches Geld und Forschung, sondern auch um handfeste Hilfe: „Im saarländischen Lehrbergwerk Velsen werden derzeit französische Bergleute für das mögliche Atommüllendlager in Bure bei Toul ausgebildet. Es handelt sich um eine Kooperation zwischen deutschen Stellen und der Atommüllbehörde in Paris.“ (SR 10.10.2011)“ [1]

Die Kampagne Les Monstres de Cigéo

Unternehmen, die am Bau von Cigéo beteiligt sind, soll der ‚Spaß‘ daran verleidet werden. In dem Aufruf zur Kampagne heißt es: „Let’s start focusing on all their weak points until ANDRA has no contractors anymore to do their dirty jobs.“ [7]

Schon im Dezember 2017 wurde eine erste Liste von Behörden und Unternehmen, die an Cigéo beteiligt sind, veröffentlicht. Die Cigéo-Gegner*innen rufen zu dezentralen, kreativen Aktionen auf. Die Liste wurde später um mögliche Ziele für dezentrale Aktionen im deutschsprachigen Raum ergänzt; u.a. Framatome, Airbus und EDF (Électricité de France, betreibt 58 AKWs [8]). EDF Deutschland hat Tochtergesellschaften und Beteiligungen an Unternehmen an verschiedenen Standorten. Es handelt sich oft um Unternehmen / Beteiligungen im Bereich der erneuerbaren Energien. [9]

Die Kampagne startete mit einem erfolgreichen Angriff auf die IT-Systeme des Unternehmens Ingérop. Ingérop hat nach eigenen Angaben weltweit 1700 Mitarbeiter und befasst sich mit „engineering and consulting in sustainable mobility, energy transition and living environment and in major issues of today and tomorrow“ [10]. Dieses Unternehmen hat sich Dokumente über brisante Infrastruktur wie das AKW Fessenheim stehlen lassen – durch Phishing-Mails! Und ein Teil dieser Dokumente wurde im Juni auf einem Server veröffentlicht, der in unserem Serverraum stand [11]. Ob es ein öffentliches Interesse an einer Veröffentlichung der Dokumente gibt (zB zur unabhängigen Prüfung der Vorhaben) sei dahingestellt, doch zweifellos hat das Unternehmen ein starkes Eigeninteresse an der Geheimhaltung der Dokumente.

Das Problem sind in erster Linie nicht diejenigen, die in die IT eingebrochen sind. Unabhängig davon, dass es keine sichere Lösung gibt um Atommüll zu lagern: Wenn dieses Unternehmen nicht einmal in der Lage ist, seine Eigeninteressen vor dem einfachsten aller Angriffe zu schützen, wie kann man ihm dann Planungen für eine Anlage anvertrauen, die für eine Million Jahre sicher sein muss?

Fortsetzung folgt …

 

[1] <https://antiatomnetz-trier.de/informier-dich/endlagerprojekt-bure>
[2] Graswurzelrevolution Nr. 428, April 2018: <http://www.graswurzel.net/428/bure.php>
[3] <https://de.wikipedia.org/wiki/Schachtanlage_Asse>
[4] <http://www.landtag-saar.de/Plenarprotokoll/PlPr15_039.pdf>
[5] Graswurzelrevolution Nr. 420, Sommer 2017
[6] <https://lists.nirgendwo.info/mailman/listinfo/atomklo-bure>
[7] <http://en.vmc.camp/2018/06/10/action-call-cigeo-monsters>
[8] <https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%89lectricit%C3%A9_de_France>
[9] <http://de.vmc.camp/2018/06/19/die-monster-von-cigeo>
[10] <http://www.ingerop.fr/en/who-we-are>
[11] <https://lesmonstresdecigeo.noblogs.org/en/post/2018/06/21/ingerop-leaks-solidarite-avec-les-inculpees-de-bure>

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